Beitrag teilen:
Martina Rosenberg, Betreiberin des Portals Pflege.pro und Bestsellerautorin, ist selbst jahrelang pflegende Angehörige gewesen. Wir haben uns mit ihr über die Schwierigkeiten in Pflegesituationen unterhalten und erfragt, wo Betroffene schnell Hilfe finden können.
Ich denke, es gibt eine Vielzahl von Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Zu Beginn der Pflege muss erst einmal geklärt werden, wer die Pflege übernehmen kann und wie die Pflege stattfinden soll. Das wird oft vergessen und dann trifft es diejenigen, die in der Nähe wohnen, ohne sich vorher abgesprochen zu haben. Das könnte später zu Spannungen führen.
Aber auch die finanzielle Situation ist eine große Herausforderung für alle Betroffenen. Was viele vorab nicht ahnen: die Pflegekasse übernimmt nur einen Teil der Kosten. Umso wichtiger ist es, sich im Vorfeld gut zu informieren und alle Leistungen zu kennen, die der pflegebedürftigen Person zur Verfügung stehen. Eine gute Pflegeberatung ist eigentlich dringend notwendig, wenn man die Pflege zuhause gut organisieren will.
Aber um auf Ihre Frage korrekt zu beantworten, würde ich sagen, die größte Herausforderung für die pflegenden Angehörigen ist es, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, wenn man selbst als Pflegender überlastet ist. Sich rechtzeitig Hilfe zu holen und sich selbst einzugestehen, dass man es vielleicht allein nicht mehr schafft. Das, glaube ich, ist für viele Pflegende die schwierigste Situation.
Die zwei größten Fragen, die uns eigentlich fast täglich begegnen, sind zum einen Entlastung vom Pflegealltag zu finden und die andere ist die Finanzierung der Pflege. Dieses an vielen Punkten schwer zu verstehende Pflegeleistungskonstrukt gibt viele Rätsel auf. Wer Pflege braucht, wird auch schnell feststellen, dass die Leistungen der Pflegekasse nicht ausreichen, um alles zu bezahlen. Unser Pflegesystem ist kompliziert. Es erfordert viel Geduld und meist auch Unterstützung, um es zu verstehen und den zustehenden Anspruch geltend zu machen.
Grundsätzlich möchte jeder Mensch gerne zu Hause bleiben, auch wenn er vielleicht etwas hinfällig ist und Unterstützung braucht. Viele ältere Menschen wollen nicht auf die Hilfe ihrer Kinder zurückgreifen, weil sie sie nicht belasten wollen oder auch, weil sie zu weit weg wohnen. Das Angebot vor Ort reicht aber oftmals nicht aus oder sie sind finanziell dazu nicht in der Lage, sich Hilfe zu leisten.
Also wollen sie ihre Kinder nicht belasten, haben aber sonst niemanden, der ihnen hilft. Das ist eine schwierige Situation für ältere Menschen. Meiner Meinung nach muss es mehr kommunale Lösungen wie die Nachbarschaftshilfe geben, die alte Menschen unterstützt, damit sie auch zuhause alt werden können.
Ich kann eigentlich keine große Veränderung in der Vereinbarung von Pflege und Beruf in den letzten Jahren erkennen. Es gibt zwar neue Gesetze, die den Pflegenden grundsätzlich die Möglichkeit geben, sich von der Arbeit ganz oder nur teilweise freizustellen, aber es bleibt immer noch die Frage offen, wer das finanziert. Das Familienministerium gönnt den Pflegenden zwar ein zinsloses Darlehen. Das bedeutet aber, es muss später wieder zurückbezahlt werden. Das kann ja nur eine Notlösung sein. Die wenigsten können es sich leisten, einfach mal kurz die Arbeitszeit zu reduzieren und auf das Gehalt zu verzichten. Dazu kommt noch, dass die Pflegenden meistens schon in einem fortgeschrittenen Berufsleben sind. Sie befinden sich in einem Alter zwischen 50 und 65 Jahren, in dem man dann ein paar Jahre reduziert soll? Und wie geht es dann weiter? Nach drei Jahren dann wieder in Vollzeit einsteigen? Wie kann das aussehen? Für mich ist das ein Gesetz, das zwar hübsch aussieht, aber sehr praxisfern ist und nicht alltagstauglich. Da nützt auch der Kündigungsschutz nichts.
Die Hürden sind schnell aufgezählt. Denn Menschen über 60 sind noch nicht wirklich mit digitalen Hilfsmitteln aufgewachsen, wie das vielleicht die jetzige Generation tut. Dennoch gilt dabei: umso einfacher ein digitales Hilfsmittel bedienbar ist, desto besser. Aber ist es für viele Menschen noch zu ungewohnt. Ich glaube dennoch, die Zukunft liegt in der digitalen Welt und sie wird den Menschen viele Dinge im Alltag erleichtern. Aber damit die breite Masse zu erreichen, wird es noch einige Zeit dauern und die Anwendungen müssen intuitiver werden. Viele der digitalen Angebote sind noch nicht wirklich reif für die Zielgruppe.
Sollte der Pflegefall plötzlich eintreten und es wurde nichts vorher besprochen, wäre spätestens jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch mit allen Beteiligten. Viel besser wäre es natürlich, wenn man das schon vorher gemacht hätte. Leider das ist in den wenigsten Situationen der Fall. Also gilt es jetzt: alle an einen Tisch setzen und planen.
Und nicht vergessen, die pflegebedürftige Person einzubeziehen. Nachfragen, wie die Pflege aussehen soll und welche Wünsche sie hat. Und nicht einfach kopflos in die Situation stürzen, sondern erstmal überlegen, was kann ich geben und wieviel Zeit habe ich dafür.
Vor allem auch, wer kann uns noch dabei unterstützen. Suchen Sie sich Hilfe. Niemand sollte allein eine Pflege meistern müssen. Vielleicht finden Sie entsprechenden Rat auf unsere Website www.pflege.pro.
Der Tipp Nummer 1 ist für mich klar: Nicht nur an den Betroffenen denken, sondern sich selbst auch mal in den Fokus nehmen und überlegen, was kann ich leisten und zu was bin ich bereit. Ehrlichkeit mit sich und mit den anderen würde helfen, die Situation für die nächsten Jahre gut zu meistern.
Vielen Dank, Frau Rosenberg!
Auf dem Portal „PFLEGE.PRO“ finden pflegende Angehörige alle relevanten Informationen, die sie während der gesamten Pflegezeit benötigen.